Besonders gilt das, wenn es um solch ein diffiziles Thema wie die Stasi-Überprüfung von Landtagsabgeordneten geht. Schließlich
kramten gestern gleich zwei Beschwerdeführer - im grundsätzlichen Streit die PDS-Landtagsfraktion und wegen ihres Rauswurfs aus dem Parlament die Ex-PDS-Abgeordnete Almuth Beck persönlich - die alten
Argumente hervor:Solch ein Abgeordnetenmandat müsse frei ausgeübt werden können und dürfe deshalb nicht einfach aberkannt werden. Mit dieser Sicht hatten auch andere angegriffenen PDS-Politiker schon
Erfolg, bis hin zum PDS-Fraktionschef im Bundestag, Gregor Gysi.
Landtagsdiektor Joachim Linck hatte deshalb die keineswegs leichte Aufgabe, die Argumente der Beschwerdeführer gegen das entsprechende
Gesetz zur Abgeordneten-Überprüfung zu entkräften. War dieses Gesetz überhaupt durch die Landesverfassung legitimiert?, lautete der Punkt, über den gestern vor dem höchsten Gericht des Freistaates am
ausführlichsten gestritten wurde. Und dabei wirkte der Landtagsdirektor nicht so souverän wie gewohnt. Das Problem liegt darin, dass nirgends in der Thüringer Verfassung ein Satz nach dem Sinn zu finden ist:
“Ein Stasi-Spitzel hat im Landtag nichts zu suchen.”
Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) betonte mit ihren Ausführungen, dass das Ansehen und die Funktionsfähigkeit des gesamten
Landtages beeinträchtigt würden, wenn auch nur auf einen Abgeordneten der Makel der Stasi-Zusammenarbeit fällt. Auch gerade deshalb hebe die Präambel des Thüringer Grundgesetzes ausdrücklich auf die
überstandenen Diktaturen ab. Und so müsse der Landtag auch die Chance haben, diesen Makel zu bereinigen.
Doch nicht um die grundsätzliche Frage, ob ein IM oder sonstiger. Stasi-Zuträger überhaupt im
Parlament etwas zu suchen hat, drehten sich die beiden gestrigen Verhandlungen, sondern um die formal juristischen Hürden bei der Umsetzung. Dabei hatte das Verfassungsgericht in seinem ersten Urteil vom
Oktober 1997 schon unmissverständlich klare Regelungen für solch einen Fall gefordert. Nur waren diese als einfaches Gesetz und nicht als Verfassungsänderung geschaffen worden.
In seinem
ersten Abgeordnetengesetz nach der Wende hatte sich der Landtag noch eine Regelung geschrieben, nach der ein der Stasi-Zuarbeit überführter Abgeordneter nicht gewählt werden kann und deshalb auch sein Amt
verliert. “Warum hat der Landtag mitten im Rennen die Pferde gewechselt?”, erkundigte sich auch prompt einer der Verfassungsrichter nach dem Schwenk in der Argumentation des Landtages, der sich jetzt vor
allem auf einen Satz in der Verfassung beruft, nach der der Landtag über einen Mandatsverlust entscheide.
Im Fall der einstigen Kaderleiterin der Volksbildung im Kreis Sonneberg, Almuth Beck, ist der
Mandatsentzug im vergangenen Jahr erfolgt. Dabei habe sie doch gar nicht wissentlich und zum Schaden anderer Personen mit dem MfS zusammengearbeitet, wiederholt ihr Anwalt nun die alten Beteuerungen. Ergo
könne sie auch nicht von ihren Abgeordneten-Kollegen im Landtag einfach so für unwürdig erklärt werden, dem Hohen Hause anzugehören.
Ein anderes Argument der Kläger-Seite zielt denn auch
darauf ab, gleich die ganze Stasi-Debatte ad acta zu legen. “Saldierungswirkung der Zeit” heißt das im schönsten Juristen-Deutsch, meint aber nichts anderes, als dass zehn Jahre nach der Wende eigentlich ein
Schlussstrich gezogen werden solle. Für den Landtag ist das aktuelle Verfahren ohnehin die letzte Gelegenheit,. denn nach dieser Wahlperiode bis zum Jahr 2004 wird es auch keine Stasi-Überprüfüng im Landtag
mehr geben.
Ob sich allerdings die Verfassungsrichter die Arbeit machen werden, die 346 Seiten starke Stasi-Akte Becks durchzuforsten, .um der Landtagsentscheidung nachzuspüren, darf indes
bezweifelt werden. Dass sie die einzelnen dort zu findenen Berichte als Kaderleiterin, DSFoder ABI-Funktionärin, aber nicht als Stasi-Zuträger abgegeben haben will, wird die Richter weniger interessieren.
Deren Hauptthema ist, wer eigentlich darüber befinden darf, ob ein Landtagsmandat aberkannt wird. Schon diese Frage ist schwierig genug. Die gesetzlich maximal zulässigen drei Monate Frist will das Gericht
mit seiner Urteilsverkündung am 25. Mai auch voll ausschöpfen..