Freies Wort 

Sonnabend, 26.Februar 2000, Seite 1

 

Sonnabend, 26.Februar 2000, Seite 7

Sie sei, “wie immer gelassen”, sagte Almuth Beck auch bei der Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof Weimar.                                                              Bild: dpa

“Warum hat der Landtag im
Rennen die Pferde gewechselt?”

Im Stasifall Beck geht es vor Gericht eher formaljuristisch zu

Von Redaktionsmitglied Jens Wenzel

Jedes Gesetz ist nur so gut wie seine Begründung, Diese Grundregel bekam gestern der Thüringer Landtag vor dem Verfassungsgerichtshof in Weimar zu spüren.

Besonders gilt das, wenn es um solch ein diffiziles Thema wie die Stasi-Überprüfung von Landtagsabgeordneten geht. Schließlich kramten gestern gleich zwei Beschwerdeführer - im grundsätzlichen Streit die PDS-Landtagsfraktion und wegen ihres Rauswurfs aus dem Parlament die Ex-PDS-Abgeordnete Almuth Beck persönlich - die alten Argumente hervor:

Solch ein Abgeordnetenmandat müsse frei ausgeübt werden können und dürfe deshalb nicht einfach aberkannt werden. Mit dieser Sicht hatten auch andere angegriffenen PDS-Politiker schon Erfolg, bis hin zum PDS-Fraktionschef im Bundestag, Gregor Gysi.

Landtagsdiektor Joachim Linck hatte deshalb die keineswegs leichte Aufgabe, die Argumente der Beschwerdeführer gegen das entsprechende Gesetz zur Abgeordneten-Überprüfung zu entkräften. War dieses Gesetz überhaupt durch die Landesverfassung legitimiert?, lautete der Punkt, über den gestern vor dem höchsten Gericht des Freistaates am ausführlichsten gestritten wurde. Und dabei wirkte der Landtagsdirektor nicht so souverän wie gewohnt. Das Problem liegt darin, dass nirgends in der Thüringer Verfassung ein Satz nach dem Sinn zu finden ist: “Ein Stasi-Spitzel hat im Landtag nichts zu suchen.”

Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) betonte mit ihren Ausführungen, dass das Ansehen und die Funktionsfähigkeit des gesamten Landtages beeinträchtigt würden, wenn auch nur auf einen Abgeordneten der Makel der Stasi-Zusammenarbeit fällt. Auch gerade deshalb hebe die Präambel des Thüringer Grundgesetzes ausdrücklich auf die überstandenen Diktaturen ab. Und so müsse der Landtag auch die Chance haben, diesen Makel zu bereinigen.

Doch nicht um die grundsätzliche Frage, ob ein IM oder sonstiger. Stasi-Zuträger überhaupt im Parlament etwas zu suchen hat, drehten sich die beiden gestrigen Verhandlungen, sondern um die formal juristischen Hürden bei der Umsetzung. Dabei hatte das Verfassungsgericht in seinem ersten Urteil vom Oktober 1997 schon unmissverständlich klare Regelungen für solch einen Fall gefordert. Nur waren diese als einfaches Gesetz und nicht als Verfassungsänderung geschaffen worden.

In seinem ersten Abgeordnetengesetz nach der Wende hatte sich der Landtag noch eine Regelung geschrieben, nach der ein der Stasi-Zuarbeit überführter Abgeordneter nicht gewählt werden kann und deshalb auch sein Amt verliert. “Warum hat der Landtag mitten im Rennen die Pferde gewechselt?”, erkundigte sich auch prompt einer der Verfassungsrichter nach dem Schwenk in der Argumentation des Landtages, der sich jetzt vor allem auf einen Satz in der Verfassung beruft, nach der der Landtag über einen Mandatsverlust entscheide.

Im Fall der einstigen Kaderleiterin der Volksbildung im Kreis Sonneberg, Almuth Beck, ist der Mandatsentzug im vergangenen Jahr erfolgt. Dabei habe sie doch gar nicht wissentlich und zum Schaden anderer Personen mit dem MfS zusammengearbeitet, wiederholt ihr Anwalt nun die alten Beteuerungen. Ergo könne sie auch nicht von ihren Abgeordneten-Kollegen im Landtag einfach so für unwürdig erklärt werden, dem Hohen Hause anzugehören.

Ein anderes Argument der Kläger-Seite zielt denn auch darauf ab, gleich die ganze Stasi-Debatte ad acta zu legen. “Saldierungswirkung der Zeit” heißt das im schönsten Juristen-Deutsch, meint aber nichts anderes, als dass zehn Jahre nach der Wende eigentlich ein Schlussstrich gezogen werden solle. Für den Landtag ist das aktuelle Verfahren ohnehin die letzte Gelegenheit,. denn nach dieser Wahlperiode bis zum Jahr 2004 wird es auch keine Stasi-Überprüfüng im Landtag mehr geben.

Ob sich allerdings die Verfassungsrichter die Arbeit machen werden, die 346 Seiten starke Stasi-Akte Becks durchzuforsten, .um der Landtagsentscheidung nachzuspüren, darf indes bezweifelt werden. Dass sie die einzelnen dort zu findenen Berichte als Kaderleiterin, DSFoder ABI-Funktionärin, aber nicht als Stasi-Zuträger abgegeben haben will, wird die Richter weniger interessieren. Deren Hauptthema ist, wer eigentlich darüber befinden darf, ob ein Landtagsmandat aberkannt wird. Schon diese Frage ist schwierig genug. Die gesetzlich maximal zulässigen drei Monate Frist will das Gericht mit seiner Urteilsverkündung am 25. Mai auch voll ausschöpfen..


Gesetz zur Abgeordneten-Überprüfung

Erfurt (dpa). Das “Gesetz zur Überprüfung der Abgeordneten des Thüringer Landtags” ist im Dezember 1998.von der damaligen CDU/SPD-Koalition gegen. die Stimmen der PDS verabschiedet worden.
Es schreibt vor, alle vor dem 1. Januar 1970 geborenen Abgeordneten auch ohne ihre Zustimmung darauf zu überprüfen, ob sie wissentlich als Stasi-Spitzel gearbeitet haben.
Dazu fordert das Landtagspräsidium die Akten der Abgeordneten von der Gauck-Behörde an. Ergibt sich daraus ein begründeter Verdacht, entscheidet ein Gremium aus Landtags-vorstand-Mitgliedern mit Zwei-Drittel-Mehrheit über die Einleitung der Einzelfallprüfung. Dafür wird das Gremium um Abgeordnete aller Fraktionen erweitert. Der Betroffene kann jederzeit Stellung nehmen.
Kommt das Gremium zur Überzeugung, dass der Parlamentarier wissentlich mit der Stasi zusammengearbeitet hat und darum unwürdig ist, dem Landtag anzugehören, muss ein Beschluss mit Zwei-Drittel-Mehrheit fallen. Für einen Mandats-Entzug braucht es ebenso einer Zwei-Drittel-Mehrheit.

Entzug eines Mandats gab es noch nicht
Regelungen meist auf freiwilliger Basis

Erfurt (dpa). Im Unterschied zu Thüringen haben in den anderen neuen Ländern stasibelastete Abgeordnete bislang nicht ihr Mandat eingebüßt.

In Sachsen erlaubt eine Bestimmung in der Landesverfassung eine Abgeordnetenanklage vor dem Verfassungsgericht mit dem Ziel der Aberkennung des Mandats. Der Versuch; drei PDS-Abgeordneten wegen StasiZusammenarbeit das Mandat abzuerkennen, scheiterte im November 1998. Der Verfassungsgerichtshof erklärte die Anklagen aus formalen Gründen für unzulässig.

Mecklenburg-Vorpommern hat die Regelanfrage im Dezember 1998 mit den Stimmen der SPD-PDS-Koalition abgeschafft. Die Landtagsabgeordneten dürfen seither nur nach ausdrücklicher Einwilligung auf eine frühere Stasi-Mitarbeit überprüft. werden, bei begründetem Verdacht aber auch gegen ihren Willen. Bis auf zwei bereits mehrfach überprüfte PDS-Abgeordnete stimmten jedoch alle anderen 69 Parlamentarier von SPD, CDU und PDS der Überprüfung zu.

Auch in Brandenburg gibt es keine rechtlichen Grundlagen, die einen Mandatsentzug ermöglichen. In der ersten Legislaturperiode wurden die Abgeordneten von zwei Vertrauensmännern der Kirchen mit Hilfe der Gauck-Akten überprüft. Zwei Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen. legten daraufhin ihr Mandat freiwillig nieder.

In Potsdam hat CDU-Landtagsfraktion ihre Abgeordneten zur zweiten Legislaturperiode gebeten, ihre Unterlagen freiwillig bei der Fraktionsspitze einzureichen. In der Folge wurde ein Abgeordneter aus Partei und Fraktion ausgeschlossen. Auch die SPD-Fraktion hatte alle Kandidaten verpflichtet, sich schriftlich zu einer Übenprüfung bereit zu erklären. Auffälligkeiten habe es nicht gegeben.

In Sachsen-Anhalt wäre die Aberkennung des Mandats mittels Landtagsbeschluss nicht möglich. Stasi-Belastete könnten nur aus eigenem Entschluss ihr Mandat niederlegen. Im Magdeburger Landtag ist die Einsetzung eines Stasi-Sonderausschusses zur Überprüfung aller Abgeordneten mehrmals am Parteienstreit gescheitert

Auch in Berlin kann laut Verfassung kein Abgeordneter zum Niederlegen seines Mandats gezwungen werden. 1992 hatte ein Ehrenrat vier Abgeordnete aufgefordert, ihr Mandat zurückzugeben: Nur einer fölgte dem, die anderen drei blieben

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