Von OTZ-Redakteur Volkhard Paczulla Drei Monate lassen sich Thüringens Verfassungsrichter noch Zeit, um den
“Fall Beck” endgültig zu entscheiden. “Wir betreten schließlich juristisches Neuland”, entschuldigt Gerichtshof-Präsident Gunter Becker die volle Ausschöpfung der Frist. Gestern durften die Verfahrensbeteiligten in Weimar noch einmal ihre Standpunkte darlegen. Auf der einen Seite Almuth Beck, die Ex-Landtagsabgeordnete der PDS.
Sie wehrt sich gegen ihren Raus- wurf aus dem Parlament, den CDU und SPD am 29. April 1999 mit der Begründung bewerkstelligt hatten: Wer mit der Stasi zusammen arbeitete, ist unwürdig, dem Landtag
anzugehören. Das den Mandatsentzug erst möglich machende Gesetz war im Dezember 1998 verabschiedet worden. Nun sitzt “Almuth”, wie ihr wenig verschleiernder IM-Deckname lautete, streng und still vor den
Verfassungsrichtern. Die 59-jährige Sonnebergerin lässt lieber ihre Anwälte reden. Dass die Mandantin gar nicht gewusst habe,
beim MfS als inoffizielle Mitarbeiterin zu gelten. Dass sie in zehn Jahren zwar 48 Berichte geliefert, aber immer nur dienstliche Kontakte gepflegt hat. Für eine Kaderleiterin beim Rat des Kreises,
Abteilung Volksbildung, sei das höchst normal gewesen. Außerdem habe der Landtag beim Prüfverfahren gegen seine eigenen Regeln verstoßen. Auf der anderen Seite sitzt Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) mit ihren besten Hausjuristen. Sie hat eine Rede vorbereitet und verteidigt die
Mandatsaberkennung. Leider würden stasi-beschuldigte Abgeordnete in aller Regel nicht von selbst die Konsequenzen ziehen, bedauert die gelernte Pastorin. Natürlich sei das ein schwerwiegender Eingriff in die
freie Mandatsausübung. Aber die “Repräsentations- und Funktionsfähigkeit” eines Parlaments sei noch wichtiger und mit stasi-belasteten Abgeordneten nun mal nicht gewährleistet. Wenn zwei Verfassungsrechte
miteinander kollidieren, ist Klärung angezeigt. Weshalb die PDS-Fraktion ein so genanntes abstraktes Normenkontrollverfahren
beantragte. Auch das wurde gestern mündlich verhandelt. Kernfrage ganz allgemein: Darf einem Abgeordneten wegen Jahre zurückliegender, im Wahlkampf nicht verheimlichter Stasi-Kontakte das Mandat aberkannt
und damit der Wählerwille nachträglich verändert werden - noch dazu von der politischen Konkurrenz. Landtagsdirektor Joachim Linck, der bei solchen Themen zu großer Form auflaufen kann, bejaht dies.
Als Beispiel nennt er Abgeordnete, die sich in der Amtszeit schwerer Straftaten schuldig machen. Denen helfe "auch ihre demokratische Salbung nicht". Da war großes Raunen im PDS-dominierten
Publikum. Was die Verfassungsrichter denken, ließen sie sich nicht anmerken. Doch wie immer sie über den bundesweit einmaligen Fall
urteilen werden — praktisch dürfte es für die Zukunft des Landtags kaum noch eine Rolle spielen. Almuth Becks zweiter Anlauf war im Herbst an ihrem schlechten PDS-Listenplatz gescheitert. Und die
Stasi-Regelanfrage an alle Kandidaten gilt nur noch für diese Legislatur. |