OSTTHÜRINGER Zeitung 

Sonnabend, 26.Februar 2000, Seite 1

Im Mai Urteil zu Entzug von Becks Mandat
VerhandIung vorm Verfassungsgericht

Weimar (OTZ/pa). Der Thüringer Verfassungsgerichtshof wird über den Entzug des Mandats der früheren PDS-Abgeordneten Almuth Beck am 25. Mai entscheiden. Das gab Gerichts-Präsident Gunter Becker gestern nach der mündlichen Verhandlung bekannt.
Beck hatte das Verfassungsgericht angerufen, nachdem ihr der Landtag im April 1999 mit Zwei-Drittel-Mehrheit das Mandat aberkannte. Der Sonnebergerin wird Stasi-Verstrickung vorgeworfen.
Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) verteidigte die Entscheidung des Parlaments. Wenn “die Schergen der Unterdrückungsmaschinerie” heute im Landtag wieder über die Belange der Bürger zu entscheiden hätten, würde dies das Vertrauen in das Parlament zerstören, sagte Lieberknecht.
Die PDS hingegen hält den Beschluss für verfassungswidrig. Er verstoße gegen das Grundrecht der freien Mandatsausübung.                                           Seite Thüringen
 

Sonnabend, 26.Februar 2000, Seite Thüringen

Thüringer mit “Fall Beck”
auf juristischem Neuland
Mandat weg wegen Stasi? - Verfassungsgericht wird entscheiden

 

Von OTZ-Redakteur Volkhard Paczulla

Drei Monate lassen sich Thüringens Verfassungsrichter noch Zeit, um den “Fall Beck” endgültig zu entscheiden. “Wir betreten schließlich juristisches Neuland”, entschuldigt Gerichtshof-Präsident Gunter Becker die volle Ausschöpfung der Frist.
Gestern durften die Verfahrensbeteiligten in Weimar noch einmal ihre Standpunkte darlegen. Auf der einen Seite Almuth Beck, die Ex-Landtagsabgeordnete der PDS. Sie wehrt sich gegen ihren Raus- wurf aus dem Parlament, den CDU und SPD am 29. April 1999 mit der Begründung bewerkstelligt hatten: Wer mit der Stasi zusammen arbeitete, ist unwürdig, dem Landtag anzugehören. Das den Mandatsentzug erst möglich machende Gesetz war im Dezember 1998 verabschiedet worden. Nun sitzt “Almuth”, wie ihr wenig verschleiernder IM-Deckname lautete, streng und still vor den Verfassungsrichtern. Die 59-jährige Sonnebergerin lässt lieber ihre Anwälte reden. Dass die Mandantin gar nicht gewusst habe, beim MfS als inoffizielle Mitarbeiterin zu gelten. Dass sie in zehn Jahren zwar 48 Berichte geliefert, aber immer nur dienstliche Kontakte gepflegt  hat. Für eine Kaderleiterin beim Rat des Kreises, Abteilung Volksbildung, sei das höchst normal gewesen. Außerdem  habe der Landtag beim Prüfverfahren gegen seine eigenen Regeln verstoßen.
Auf der anderen Seite sitzt Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) mit ihren besten Hausjuristen. Sie hat eine Rede vorbereitet und verteidigt die Mandatsaberkennung. Leider würden stasi-beschuldigte Abgeordnete in aller Regel nicht von selbst die Konsequenzen ziehen, bedauert die gelernte Pastorin. Natürlich sei das ein schwerwiegender Eingriff in die freie Mandatsausübung. Aber die “Repräsentations- und Funktionsfähigkeit” eines Parlaments sei noch wichtiger und mit stasi-belasteten Abgeordneten nun mal nicht gewährleistet.
Wenn zwei Verfassungsrechte miteinander kollidieren, ist Klärung angezeigt. Weshalb die PDS-Fraktion ein so genanntes abstraktes Normenkontrollver
fahren beantragte. Auch das wurde gestern mündlich verhandelt. Kernfrage ganz allgemein: Darf einem Abgeordneten wegen Jahre zurückliegender, im Wahlkampf nicht verheimlichter Stasi-Kontakte das Mandat aberkannt und damit  der Wählerwille nachträglich verändert werden - noch dazu von der politischen Konkurrenz. Landtagsdirektor Joachim Linck, der bei solchen Themen zu großer Form auflaufen kann, bejaht dies. Als Beispiel nennt  er Abgeordnete, die sich in der Amtszeit schwerer Straftaten schuldig machen. Denen helfe "auch ihre demokratische Salbung nicht". Da war großes Raunen im PDS-dominierten Publikum.
Was die Verfassungsrichter denken, ließen sie sich nicht anmerken. Doch wie immer sie über den bundesweit einmaligen Fall urteilen werden —  praktisch dürfte es für die Zukunft des Landtags kaum noch eine Rolle spielen. Almuth  Becks zweiter Anlauf war im Herbst an ihrem schlechten PDS-Listenplatz gescheitert. Und die Stasi-Regelanfrage an alle Kandidaten gilt nur noch   für diese Legislatur.