Nummer 11/2000, 1.Juni-Ausgabe, Seite 9

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"Dies, so hoffe ich, macht vielen Mut"

"Der Maxime der politischen Mehrheit des Thüringer Landtages - damals CDU und SPD - 'Wer die Macht hat hat das Recht' wurde von den Thüringer Verfassungsrichtern mit einer Eindeutigkeit zurückgewiesen, die keine Wünsche offen läßt", so Almuth Beck in einer Stellungnahme für die UNZ zum Weimarer Urteil über ihren Mandatsentzug.

Weiter schreibt sie:

"Ich bin überzeugt, daß diese Entscheidung deutlich macht, daß es auch in Thüringen ein unabhängiges Rechtswesen, ein hohes Gut der Demokratie, gibt und daß es sich immer lohnt, für sein Recht zu streiten. Allen denen, die glauben, über Anpassung und Wohlverhalten in politischen Auseinandersetzungen zu punkten, sollte die Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtes Grund sein, nachzudenken. Nur über eine lebendige, starke Opposition kann diese Gesellschaft im Sinne der Menschen verändert werden. Dies - so hoffe ich - macht vielen Mut.

Der Sieg über den Thüringer Landtag, vertreten durch Frau Präsidentin Lieberknecht, bedeutet mir persönlich viel. Ich zähle zu den Lehrern, die sich 1990/91 der Lehrerüberprüfung in Weimar, die eigentlich eine Gesinnungsschnüffelei war, unterziehen mußten. Dieses nach meiner Meinung undemokratische und juristisch sehr fragwürdige Verfahren hat Frau Lieberknecht als damalige Kultusministerin zu verantworten.

Frau Lieberknecht hat mich am 25.02.2000 vor dem Verfassungsgericht als 'Scherge der Unterdrückungsmaschinerie' bezeichnet. Allerdings ist in den 25 Jahren meiner "Unterdrückertätigkeit" kein einziger Lehrer aus politischen Gründen aus dem Schuldienst geworfen worden. In den etwa 2 Jahren der Tätigkeit dieser ausgewiesenen Demokratin verloren aber hunderte von Lehrern, Erziehern und Pionierleitern ihren Beruf - und das waren nicht die schlechtesten Pädagogen.

Mein herzlicher Dank an alle, die mir in meinem Rechtsstreit zur Seite standen. In dieser Zeit habe ich erkannt, wer wirklich meine Freunde waren. Ihre Solidarität war für mich sehr wichtig.

Noch ein Wort zu Bodo Ramelows Wertung des Urteils im ND vom 26.05.2000: Es war eine "Sternstunde des Verfassungsrechts, nicht von Almuth Beck". Abgesehen davon, daß die Vokabel 'Sternstunde' in meinem Sprachschatz nicht vorkommt, war das Urteil Ergebnis der Arbeit hochqualifizierter Fachleute, die sich ihre Auffassung von Recht und Unrecht nicht durch Wünsche und Vorstellungen von Politikern verbiegen lassen. Es war aber auch das Ergebnis meines langen, mühevollen, oft einsamen Kampfes, der mich viel Kraft gekostet hat, aber in dem ich nicht eine Sekunde ans Aufgeben gedacht habe. Und insofern denke ich schon, daß der Sieg vor dem Verfassungsgericht auch mein Sieg ist."

 

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Klare Entscheidung für Wahrung des freien Mandats”


Als Stärkung des Rechtsstaats und eine klare Entscheidung für die Wahrung des freien Mandats bewertete Gabriele Zimmer, stellvertretende Bundesvorsitzende und Vorsitzende der PDS-Fraktion im Thüringer Landtag, die vom Weimarer Verfassungsgerichtshof gefällten Entscheidungen.

Insbesondere freue sie sich über die so nicht erwartete Eindeutigkeit des Urteils, das die Verfassungswidrigkeit der Thüringer Regelung über den Verlust des Abgeordnetenmandats wegen Stasizusammenarbeit feststellt.

Die einstimmig ergangene Entscheidung der Weimarer Verfassungsrichter “stößt die Tür auf für eine mehr als überfällige, offene und freie politische Debatte”, betonte die PDS-Politikerin.

Eine lediglich juristische Auseinandersetzung könnte der DDR-Geschichte, der Rolle, die das MfS, aber auch die Parteiapparate gespielt haben, nicht gerecht werden.

Es sei schon eine Erfahrung und Lehre aus DDR-Zeiten, so Gabi Zimmer weiter, dass politische Intentionen in der Rechtsprechung nichts zu suchen hätten.

Denkzettel für CDU-Fraktion

Als einen “Sieg nach Punkten” bewertete der PDS-Fraktionsvize Bodo Ramelow den Entscheid des Weimarer Verfassungsgerichts, zwar den Eilantrag der PDS-Fraktion gegen den Ausschluss eines Fraktionsmitarbeiters von Ausschussberatungen abzuweisen, aber die Notwendigkeit einer eingehenden Prüfung dieses Ausschlusses zu unterstreichen.

“In Anbetracht der vom Landesverfassungsgericht formulierten Grundsätze und der heute bestätigten Berechtigung unserer Klage ist es höchste Zeit, dass die CDU-Mehrheitsfraktion über ihr einseitiges und willkürlichen Verhalten, mit dem sie einem Fraktionsmitarbeiter den Zutritt zu Ausschussberatungen verwehrt, nachzudenken”, betonte Ramelow.

Zugleich verwies der Fraktionsvize darauf, dass die PDS konsequent ihren Weg weitergehen werde, Biografien und Vergangenheit im Kontext der Zeit zu bewerten. “Wir gehen entsprechend der vom Landtag vorgegebenen Regelungen zur Überprüfung der Mitarbeiter vor und treffen Entscheidungen erst nach Ende der laufenden Überprüfungen und nicht in der Art, wie die CDU meint, es uns vorgeben zu müssen. Das Vorgehen der CDU-Mehrheitsfraktion ist willkürlich und rechtswidrig.”

 

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Die Immunität eines Parlamenta-
rierers bleibt demnach geschützt”

Zu den Reaktionen auf das Urteil des Weimarer Verfassungsgerichtshofs
zur Mandatsaberkennung
 

Was zum Grundkurs für Schüler im Sozialkunde-Unterricht gehört, hatte die CDU/SPD-Koalition in der vergangenen Legislaturperiode wohl weitgehend  verdrängt, als sie mit ihrer Mehrheit die Parlamentsunwürdigkeit der PDS-Abgeordneten Almuth Beck und damit ihren Rausschmiss aus dem Thüringer Landtag beschlossen – ein bundesweit einmaliges Vorgehen.
So gab es ein herbes Erwachen bei den Urteilen zu den Klagen der PDS-Fraktion und Almuth Becks, die die neun Weimarer Verfassungsrichter am 26. Mai einstimmig gefasst hatten:

Aus für den Paragraphen 8

Aus der Presseinformation des Weimarer Verfassungsgerichtshofs:

“Die Thüringer Regelung über den Verlust des Abgeordnetenmandats infolge wissentlicher Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ist verfassungswidrig. Damit ist dem Beschluss des Thüringer Landtags über den Mandatsverlust der ehemaligen PDS-Abgeordneten Almuth Beck die Grundlage entzogen. Deswegen musste der Verfassungsgerichtshof auch ihrem Antrag gegen den entsprechenden Mandatsverlustbeschluss des Thüringer Landtags schon deshalb stattgeben. Da es dabei weder auf die Frage ankam, ob das Verfahren der Mandatsaberkennung ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, noch darauf, ob die gegen Frau Beck erhobenen Vorwürfe einer wissentlichen Zusammenarbeit mit dem MfS als inoffizieller Mitarbeiter gerechtfertigt sind, waren dem Verfassungsgerichtshof entsprechende Prüfungen verwehrt.

In dem Normenkontrollverfahren hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass die in § 8 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz enthaltene Regelung, wonach der Landtagsabgeordnete durch Parlamentsbeschluss sein Mandat verliert, wenn der Abgeordnete zur gesicherten Überzeugung des Landtags wissentlich als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS/AfNS zusammengearbeitet hat und deshalb unwürdig ist, dem Landtag anzugehören, der Thüringer Verfassung widerspricht.

Der durch die Wahl erworbene Status eines Abgeordneten endet nur aus den Tatbeständen, die in der Thüringer Verfassung ausdrücklich genannt werden oder die von ihr zugelassen werden. Dies ist nicht der Fall bei einem der Wahl vorausliegenden Verhalten, das - wie eine Tätigkeit für das MfS/AfNS - möglicherweise moralisch und politisch verwerflich, nicht jedoch strafrechtlich sanktioniert ist. Der in einer Zeit des gesellschaftlich-politischen Umbruchs grundsätzlich zulässige Entzug des Mandats hätte nur aufgrund einer Regelung in der Thüringer Verfassung erfolgen können. Da eine solche - anders als in der Sächsischen Verfassung - fehlt, wäre Voraussetzung für den Erlass der angegriffenen Norm eine Verfassungsänderung nach Art. 83 der Thüringer Verfassung. Dies ist nicht geschehen.”

“Recht für Andersdenkende”

Eine klare Entscheidung in der Sache also, die trotz oder gerade wegen ihrer Logik im Thüringer Blätterwald zu grundsätzlichen rechtsstaatlichen Erörterungen führte:

“Ein frei vom Volk gewähltes Abgeordnetenmandat darf in der Demokratie selbst dann nicht vom Tisch gewischt werden, wenn klare Mehrheiten es gern möchten” (Ostthüringer Zeitung)

“In einem Rechtsstaat kann auch der Andersdenkende Recht bekommen” (Thüringer Allgemeine).

“Nicht Volksvertreter haben darüber zu befinden, ob jemand Volksvertreter sein darf, sondern die Wähler. Die Immunität eines Parlamentariers bleibt demnach geschützt, solange der Justiz kein konkreter Strafbestand vorliegt.” (Mitteldeutsche Zeitung)

“Vielmehr ist der Richterspruch geeignet, Vertrauen zu schaffen in die Institutionen eines Gemeinwesens, das Macht nicht als Allmacht vergibt”. (OTZ)

“Freibrief für Spitzel”

Die Enttäuschung über das Weimarer Urteil war freilich bei jenen, die die verworfene Regelung zu verantworten hatten, groß. Dabei ließen sie nicht mal den Ansatz einer Nachdenklichkeit erkennen:

Die Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht bedauerte, dass es dem Landtag damit ohne verfassungsrechtliche Not  erschwert werde, “das Erbe der SED-Diktatur mit der gebotenen Konsequenz aufzuarbeiten. (...) Das Urteil könnte als Freibrief für jene missverstanden werden, die sich durch Spitzeldienste an der Unterdrückung von Menschen beteiligt haben.”

Der CDU-Fraktionschef Dieter Althaus meinte, das Urteil wirke so, “dass jemand, der seine Stasi-Mitarbeit verschweigt, nicht mit Konsequenzen rechnen muss”. Er sprach außerdem von einer “politischen Verwerfung”, denn der Landtag habe mit großer Mehrheit für den Mandatsentzug gestimmt.

Der SPD-Fraktionsvize Günter Pohl erklärte: “Eine Aberkennung des Landtagsmandats wegen Stasi-Mitarbeit halten wir nach wie vor für moralisch gerechtfertigt. Abgeordnete haben schließlich eine besondere Verpflichtung gegenüber den Bürgern.”

Nach Angaben des Thüringer Justizministers Andreas Birkmann entspreche die Entscheidung nicht dem Rechtsempfinden der Menschen in den neuen Ländern. Sie müsse wie eine nachträgliche gerichtliche Legitimierung für ein Unrechtssystem wirken. Und von Ministerpräsident Bernhard Vogel hieß es, damit werde eine Entscheidung des Parlaments nicht gewürdigt.

 

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